Hintergrund

Der Designprozess

Morgens, halb neun, in Weissach. Es könnte ein ganz normales süddeutsches Städtchen sein, mit Kirche und Metzgerei am Dorfplatz, umgeben von sanften Hügeln und goldenen Weizenfeldern – wären da nicht die mit Tarnfolie abgeklebten Porsche-Prototypen, die dem Besucher bereits auf der Landstraße entgegenkommen. Inmitten der ländlichen Idylle, nur 25 Kilometer vom Stammwerk in Zuffenhausen entfernt, betreibt Porsche seit 1971 sein Entwicklungszentrum. In Weissach entstehen alle neuen Serienmodelle – von der ersten Zeichnung über Maßstabsmodelle bis hin zur Entwicklung von neuen Motoren, Fahrwerken und seriennahen Prototypen, die in den Prüfständen, Windkanälen und auf der hauseigenen Teststrecke erprobt werden. Die Wege zwischen den einzelnen Abteilungen sind kurz, der Austausch ist intensiv. Selbst die Nähe zum Rennsport ist bei Porsche mehr als sprichwörtlich: Das Porsche Motorsportzentrum im Nachbarort Flacht, in dem die Rennwagen der Marke entstehen, ist nur einige hundert Meter entfernt. Wenn der Wind richtig steht, umweht das Dröhnen der Rennmotoren die Designer, Modellbauer und Ingenieure als Soundtrack bei ihrer Arbeit.

„Das Schwäbisch-Bodenständige und die absolute Avantgarde existieren hier ganz selbstverständlich in direkter Nachbarschaft“, sagt Michael Mauer. Als Designchef kam er 2004 zu Porsche – und fühlt sich in Weissach sichtlich zu Hause. Hier haben er und sein Team den Porsche Panamera und den Macan entworfen, den Cayenne weiterentwickelt, mit dem 918 Spyder einen sportlichen Meilenstein gesetzt und den 911 mit den Generationen 991 und 992 schon zweimal neu erfunden. Die Produktidentität, das Markengesicht von Porsche, wie wir es kennen, stammt aus seinem Zeichenstift. Die Entwürfe aus dem Porsche Design Studio werden immer wieder mit den wichtigsten internationalen Preisen ausgezeichnet, Michael Mauer zu den einflussreichsten Gestaltern unserer Zeit gezählt. Doch während Juroren und Journalisten ihn zur Evolution des Elfers oder den Silhouetten der neuesten Serienmodelle befragen, ist er mit den Gedanken meist schon ganz woanders. Zum Beispiel in der Zukunft.

Denn im Gegensatz zu vielen anderen Marken setzt Porsche innerhalb des Designbereichs auf besondere Teams für Ideen und Visionen, deren Aufgabe es ist, möglichst frei zu experimentieren und auf Gedankenreisen die Zukunft der Mobilität zu erkunden. Nun also die einmalige Gelegenheit, Michael Mauer in dieser selbst gestalteten Welt von morgen zu besuchen, einige der Konzeptstudien aus dem geheimen Designarchiv zu begutachten und mit ihm in den heiligen Hallen des Designstudios über die Kraft visionären Denkens, Mut zur Innovation und das Automobil von morgen zu sprechen. Und natürlich über Weissach – das Silicon Valley der Automobilindustrie.

„Porsche betreibt bewusst nur ein einziges Designstudio – und zwar in direkter Nähe zur Entwicklung und Produktion“, sagt Michael Mauer. „Weissach ist unser Epizentrum. Statt Advanced Design Studios in den weit entfernten Metropolen Nordamerikas und Asiens zu eröffnen, kommen unsere Designer aus der ganzen Welt zu Porsche nach Weissach, um im Herzen der Marke zwischen Wiesen und Wäldern die neuesten Seriensportwagen und Automobilvisionen zu kreieren. Das Silicon Valley ist seinem Standort schließlich auch immer treu geblieben.“ Mauer hat in den 1990er-Jahren ein Designstudio in Tokio geleitet und weiß um den Heimvorteil. So hat er ein Studio geschaffen, das zu den absoluten Sehnsuchtsorten aller Automobildesigner zählt. Mehr als 120 Designer, Experten für Interieur, Exterieur, Farben und Materialien, Modellbauer, Modelleure und Studieningenieure sind hier beschäftigt. Die Hallen sind luftig und hell, durch hohe Fensterfronten aus Milchglas fällt diffuses Tageslicht. Die Designer arbeiten konzentriert, in sich ruhend, an verblüffend realistischen Claymodellen. Der Umgang untereinander und mit dem Chef ist freundlich und respektvoll. Draußen wird mit heiserem Bellen ein Motor gestartet. Wissende Blicke, Kennermienen, ein noch streng geheimer Modellname macht die Runde.

„Die Verbindung der Designer zur Marke Porsche – und wirklich allem, was sie ausmacht – ist in Weissach stark ausgeprägt. Der Designer kann sich bei jeder Skizze, an der er arbeitet, bereits bildlich vorstellen, wie der Prototyp einst auf dem Testgelände seine Runden dreht“, erklärt Michael Mauer und führt vorbei an einer Reihe abgedeckter Maßstabsmodelle, die auf den Studiofluren wie bei einer Hollywood-Produktion auf ihren Einsatz warten. „Gleichzeitig genießen die Designer hier maximale Freiheiten und können ihre Kreativität uneingeschränkt ausleben. Dieses Spannungsfeld ist schon eine große Besonderheit.“ Auch die Bandbreite der Modelle, an denen die Designer arbeiten, ist beträchtlich. Man feilt morgens an einem Derivat für den Porsche Macan und entwickelt nachmittags eine Vision für das Jahr 2050. Es ist ein stetiger Wechsel zwischen Evolution und Revolution. „Dieser Spagat hält die Designer wach, kreativ – und sorgt für maximalen Austausch zwischen den Projekten. Auf diese Art und Weise kann das Visionsdesign in einem ewigen kreativen Kreislauf tatsächlich die Arbeit an den Serienprodukten beeinflussen.“

Klar, es gibt wenig Ablenkung in Weissach. Nur bei den berühmten Sommerfesten, bei denen spontan auch einmal ein „Art Car“ entstehen kann, weht ein wenig kalifornischer Coachella Festival Spirit durch die Hinterhöfe des Entwicklungszentrums. Doch wer im Designprozess um Inspiration ringt und dringend noch einmal die Lufteinlässe des Porsche 917 aus der Nähe begutachten möchte, fährt schnell rüber ins Markenmuseum in Zuffenhausen. Und die Spezialisten aus der Motorenentwicklung, dem Karosseriebau, der Rennabteilung trifft man spätestens beim Mittagessen in der Kantine. So stehen die Visionen, die bei Porsche erdacht und entwickelt werden, meist mit „einem Rad in der Realität“. Denn ganz egal, wie verrückt sie sind – oft gibt es doch einen stilistischen Bezug zur reichhaltigen Historie der Marke oder einen technologischen Link zum aktuellen Rennsport. Diese Verbindungen geben selbst den experimentellsten Konzeptstudien einen eigenständigen Stil und Charakter und eine große Relevanz für die Marke. Sie sind nicht austauschbar.

Zurück ins Morgen

Grundsatzfrage an den Chefdesigner: Warum sind Visionen für Porsche so wichtig? „Es gibt zwei Möglichkeiten, sich als Marke weiterzuentwickeln“, sagt Michael Mauer. „Entweder, man verbessert seine Produkte aus der Gegenwart heraus, also evolutorisch, Schritt für Schritt. In diesem Prozess ist es allerdings schwierig, wirklich innovativ zu sein. Oder, man lässt seiner Kreativität freien Lauf. Die Idee ist es, gedanklich ins Übermorgen zu springen und sich von dort aus rückwärts zurück ins Morgen zu bewegen.“ Welche Produkte könnte man in 15, 20 oder 30 Jahren bauen? Ausgehend von dieser großen Vision folgt dann die Ableitung: Die Designer bewegen sich rückwärts durch die Zeit zurück und überlegen sich, welche Vorstufen einer Vision anhand der verfügbaren Technik in zehn oder fünf Jahren realisiert werden könnten. Forecasting und Backcasting heißt das im Designersprech. „Meine Theorie ist es, dass man auf diese Art sehr viel innovativer und moderner sein kann.“

Seitenblick auf den Porsche Vision 960 Turismo. Der silberglänzende Prototyp wurde im Designstudio zunächst als experimentelle Studie eines Supersportwagens mit vier Türen und Heckmotor entwickelt. Schlussendlich diente er jedoch als Blaupause für das erste vollelektrische Serienmodell der Marke. „Ein Porsche Taycan würde heute anders aussehen, wenn er als Serienprojekt für ein Elektroauto gestartet wäre. Die ganze Formensprache von Porsche hätte sich nicht derart weiterentwickelt, wenn wir nicht solche Möglichkeitsräume betreten könnten.“ Manchmal nimmt ein Projekt einen unerwarteten Verlauf oder führt über Umwege an ein Ziel, von dem man zu Beginn der Konzeptionsarbeit noch nichts geahnt hatte. Mitunter steht auch der Designchef vor einer faszinierenden Idee, von der er nicht weiß, wofür genau sie einmal gut sein könnte. Und Monate oder sogar Jahre später kommt diese Idee wieder aus den Tiefen des Unterbewusstseins herauf an die Oberfläche – als Lösung für ein ganz anderes Problem. Oder als Anwendungsbeispiel für eine völlig neue Technologie.

Als Kunden und externe Beobachter neigen wir dazu, jedes neue Serienauto als perfekten Wurf, als ein in sich stimmiges Ensemble zu betrachten. So, wie wir auch einen erfolgreichen Film, ein preisgekröntes Buch, ein Hit-Album als stringentes, alternativloses Meisterwerk betrachten. Die Entwicklungsarbeit innerhalb der Black Box der Kreativität bleibt uns meist verborgen. Doch nicht einmal der Porsche 911 materialisierte sich als genialer Entwurf auf einem Blatt weißem Papier. Die Entwicklungsgeschichte der Markenikone lässt sich vielmehr lesen als ein komplexer Prozess des trial and error, in dem mehr ausprobiert und wieder verworfen als weiterverfolgt wurde. Man muss sich nur im Porsche Museum den metallicgrünen Porsche 754 T7 ansehen, der 1960 von F.A. Porsche und seinem Team als Vorstufe des ersten Porsche 911 gestaltet wurde. Und man begreift: Der Kreation eines automobilen Meisterwerks geht oft eine lange Suche nach der perfekten Proportion, der idealen Linie, dem vollendeten Gesamtpaket voraus.



„Es geht bei den Visionen, die wir entwickeln, nicht darum, jedes Auto auf die Straße zu bringen. Sondern vielmehr darum, Möglichkeitsräume aufzuspannen und eine Beziehung mit der Zukunft aufzunehmen“, sagt Michael Mauer mit Blick auf den Designprozess. „Das ist wirklich harte Beziehungsarbeit, die mich selbst und mein Denken verändert. Denn wenn ich einmal gedanklich in der Zukunft war, verändert das auch meine Sicht auf die Gegenwart.“ Und dann? „Eine Zukunftsvision ist schnell skizziert. Die Herausforderung ist es jedoch, die Idee Schritt für Schritt zu konkretisieren und die Verbindung zum Heute herzustellen.“ Wie beeinflussen die Visionen also die Serienautos? Wie wird aus Science-Fiction greifbare Realität? „Alle Serienprojekte haben einen ganz klaren Rhythmus, sie müssen in einer bestimmten Anzahl von Monaten abgeschlossen sein. Wenn man sich in diesen Prozessen aus den Ideen und Konzeptstudien bedienen kann, werden die Serienprodukte ganz automatisch innovativer. So hält man die Formensprache seiner Produkte und auch die Mannschaft frisch und legt sich einen Grundstock an Ideen an, aus dem man sich bedienen kann.“ Auch die Weiterentwicklung der Marken- und Portfoliostrategie wäre nicht denkbar ohne konkrete Ideen, wo Porsche in zehn, 15 oder 20 Jahren stehen könnte.

Was schlüssig klingt, ist alles andere als selbstverständlich – schließlich lässt sich bei den meisten Visionen aus Porsches aufwendigem Forschungsprogramm nicht abschätzen, ob und wie sie die Serienproduktion beeinflussen werden. Warum also in die ferne Zukunft schweifen, wenn die Marktanalysen doch genau zeigen, was sich die Kunden derzeit wünschen? „Ein neues Serienmodell zu entwickeln ist ein langwieriger Prozess. Ohne Visionen wird man die Autos, die erst in fünf Jahren erscheinen, an der aktuellen Formensprache orientieren“, erklärt Michael Mauer. „Statt mit Innovationen neue Trends zu setzen, würde man auf der Stelle treten.“

Denn die technologischen und sozialen Veränderungen unserer Zeit sind rasant. Da ist es für einen erfolgreichen Automobilhersteller wie Porsche essenziell, mit neuen Ideen der Entwicklung der Mobilität vorwegzugreifen. Man muss Sehgewohnheiten verändern und neue Produkte lancieren, die Trends setzen, statt ihnen zu folgen. Dazu braucht es Risikobereitschaft, unternehmerischen Mut – und vor allem Vertrauen in die Visionäre, die im Auftrag der Marke experimentieren und die Zukunft erforschen.

Mit dem Vorstandsvorsitzenden Oliver Blume hat Michael Mauer seinen wichtigsten Förderer überzeugt, dem Designbereich entsprechende Freiräume zu schaffen, in die Forschung zu investieren – und im Gegenzug mit Ideen und Innovationen belohnt zu werden. Sie sind der Grundstein für die Produkte von morgen. „Ein Stück weit wollte ich das Budget immer auch nutzen, um besonders verrückte Ideen aufzuzeigen. Autos, bei denen man im ersten Augenblick vielleicht noch den Kopf schüttelt und sich fragt, ob das denn ein Porsche sein kann.“ Michael Mauer schätzt die Freiheit, die Traditionen und Konventionen der Marke spielerisch hinterfragen zu dürfen. So werden interne Diskussionen angestoßen und die zentralen Werte von Porsche immer wieder neu definiert.

Die Kombination aus frei denkendem Unternehmer und avantgardistischem Designer, die Steve Jobs und Jony Ive im kalifornischen Silicon Valley für die Tech-Szene als Erfolgsrezept etabliert haben – sie scheint auch für die Automobilindustrie eine erhebliche Chance auf Erneuerung zu bieten. „Es zeichnet schon ein positives Bild eines Vorstandsvorsitzenden und der Beziehung zu seinem Designchef, wenn er das Vertrauen hat, ihm und seinem Team einen solchen kreativen Freiraum zu gewähren“, gibt Michael Mauer zu. „Um dies zuzulassen, muss ein CEO auch Visionär sein.“

Von der ersten Zeichnung zum fahrbaren Prototyp

Manche der Visionen, die wir auf unserem Rundgang sehen, sind Skizzen oder Maßstabsmodelle. Andere Autos wiederum sind verblüffend seriennah und scheinen nur darauf zu warten, auf die Straße zu kommen. Michael Mauer unterscheidet verschiedene Kategorien von Projekten, an denen er und sein Team arbeiten. Da sind zum einen die Derivate erfolgreicher Serienmodelle wie etwa des Porsche 911, des Macan oder des 718 Cayman, deren Potenziale mit Variationen immer weiter ausgelotet werden. Das kann eine geländetaugliche Safari-Version oder ein puristischer Bergspyder nach historischem Vorbild sein. Faszinierende Autos, die als limitierte Sonderserien aufgelegt werden können – oder Karosserievarianten, die einfach gut ins Markenportfolio passen würden. Meist ist das Lastenheft bei diesen Modellen sehr konkret: Die Variationen müssen in den nächsten fünf Jahren und im Rahmen der Serienproduktion umsetzbar sein.

Ein Automobil-Genre, das dem Designchef und seinem Team besonders am Herzen liegt, sind die kleinen, puristischen und wendigen Sportwagen, die an Leichtbau-Ikonen wie den Porsche 904 oder 550 Spyder erinnern. Michael Mauer ist überzeugt, dass ein kompakter Kurvenjäger auch heute noch die sportliche Markengemeinde begeistern würde. Besonders dramatisch sind derweil die Studien für einen neuen Hypersportwagen, der einst die Nachfolge des Porsche 918 Spyder antreten könnte: Viele Entwürfe sind inspiriert von den Siegen der LMP1-Rennwagen in Le Mans und den ersten Erfahrungen in der Formel E. Als rennsportliche Leuchtturmprojekte bilden diese eindrucksvollen Automobilvisionen ein radikales Gegengewicht zu den zivileren Reisesportwagen und SUVs, mit denen Porsche heute so große Erfolge feiert.

Und dann gibt es da noch die verrückten Ideen, bei denen die Designer – so Michael Mauer – „den Stein besonders weit in die Zukunft werfen“. Hier verlassen die Gestalter die Sphäre der Gegenwart und experimentieren mit Formen und Ideen, die es bei Porsche bisher noch nicht gab. Diese Visionsautos dienen dazu, Strategien zu diskutieren, abstrakte Ideen zu visualisieren und die Grenzen von Tradition und Konvention zu überschreiten. In den internen Diskussionen kann es dann schnell metaphysisch werden: Was ist überhaupt ein Porsche? Was ist er nicht? Welche Karosserieformen und Raumkonzepte sind denkbar? Kann es einen autonom fahrenden Porsche geben? Und was bedeutet dann Sportlichkeit? Was kommt nach dem Automobil, wie wir es kennen?

Die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens wird an diesen Fragen immer wieder neu diskutiert. Doch zurück in die Gegenwart: Wie unterscheidet sich der Gestaltungsprozess einer Vision von dem eines Serienautos – und wer entscheidet darüber, ob eine Idee weiterverfolgt oder fallen gelassen wird? Michael Mauer verlangsamt seinen Schritt, erklärt: „Der Designbereich ist Teil der Entwicklungsabteilung – und die Entwicklung eines neuen Serienfahrzeugs ist ein hochdemokratischer Prozess, bei dem sehr viele Menschen aus unterschiedlichen Bereichen mitsprechen. Wenn man jedoch auch ausgefallene und spezielle Ideen entwickeln möchte, ist es kontraproduktiv, wenn zu Beginn zu viele Personen involviert sind. Unsere Vereinbarung ist es deshalb, dass wir unser Budget direkt vom Vorstandsvorsitzenden erhalten. Oliver Blume und der Entwicklungsvorstand sind deshalb unsere ersten Adressaten für alle neuen Ideen.“

Michael Mauer

„Die Verbindung der Designer zur Marke Porsche – und wirklich allem, was sie ausmacht – ist in Weissach stark ausgeprägt. Der Designer kann sich bei jeder Skizze, an der er arbeitet, bereits bildlich vorstellen, wie der Prototyp einst auf dem Testgelände seine Runden dreht.“

Die meisten Ansätze für neue visionäre Projekte entstehen innerhalb des Designbereichs selbst. „Man fragt sich, wie könnte ein Porsche für vier oder sogar sechs Personen aussehen, und beginnt frei zu konzipieren. Am Ende steht dann ein Entwurf.“ Im Gegensatz zur Serienproduktion ist die kreative Freiheit nicht durch festgelegte technische Pakete wie Motoren, Getriebe, Bodengruppen und Achsen limitiert. Der Designprozess beginnt mit einer Skizze, die im nächsten Schritt im virtuellen Raum als 3-D-Modell visualisiert wird. Wird eine Idee vom Vorstandsvorsitzenden und den Entwicklungs- und Vertriebsvorständen für wertvoll befunden, folgen kleine Modelle im Maßstab 1:3 und schließlich ein Hartmodell im Maßstab 1:1. „Die virtuelle Realität ist der erste Schritt, aber gerade die ungewöhnlichen Modelle muss man im Raum erleben, um zu begreifen, wie klein, groß oder überraschend proportioniert ein Auto ist“, sagt Michael Mauer. Ist der Innenraum von besonderer Bedeutung, ist auch ein Einstiegsmodell mit ausgestaltetem Cockpit möglich. Am Ende des Entwicklungsprozesses steht dann ein fahrbarer Prototyp mit Motor, Getriebe, der ganzen technologischen Architektur. Bei Serienmodellen wie etwa einem neuen Porsche 911 konkurrieren immer mehrere Entwürfe miteinander. Sie alle werden im Designprozess weit verfolgt und als Modelle konkretisiert. Bei ihren Visionsprojekten konzentrieren sich die Designer derweil auf einen einzigen Entwurf – er dient als Protagonist und Symbol der zentralen Idee.

Die meisten Designstudien, die bei Porsche erarbeitet werden, erscheinen verblüffend realistisch. Das liegt auch an der professionellen Arbeitsteilung. Beteiligt sind neben den Designern eben auch Modellbauer mit großer Erfahrung aus der Serienproduktion. Studioingenieure sorgen dafür, dass die Konzepte zumindest grundlegend technisch realisierbar sind. Auch Karosseriebauer, Motorenentwickler, Akustiker unterstützen den Prozess mit ihrem Know-how. „Wenn wir Designer zeigen wollen, was wir wirklich draufhaben, wird daraus schnell ein halbes Serienprojekt“, lacht Mauer. „Man hat immer im Kopf, dass man auch halten muss, was man verspricht, wenn eine Serienproduktion beschlossen wird. Deshalb waren auch unsere Konzeptautos für den Porsche 918 und den Taycan immer sehr seriennah.“

Das bringt auf dem Weg vom Zeichenbrett auf die Straße viele Vorteile. Aber können sich Designer, die alle hochkomplexen und effizienten Abläufe der Serienproduktion verinnerlicht haben, bei experimentellen Projekten überhaupt von ihrem Wissen frei machen und die eigenen Denkschranken durchbrechen? „Es stimmt schon: Je länger man in diesem Job ist, umso mehr kennt man die Restriktionen. Es ist schwer, dieses Wissen abzuschütteln. Die Lösung ist es, Teams möglichst inhomogen zusammenzusetzen, sodass Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen zu einem Projekt beitragen können.“ Eigentlich hat das Designteam bei Porsche eine klassische Struktur – mit Exterieur, Interieur, Querschnittsfunktion. Daneben gibt es jedoch Teams, die nur in der Vorentwicklung arbeiten und sich mit Vision Design und – ganz einfach gesagt – der Zukunft beschäftigen. Aus jedem Bereich sind das vier bis fünf Leute.

„Auch Studentenentwürfe sind oft sehr frei und noch nicht so sehr den Regeln der Machbarkeit unterworfen“, sagt Michael Mauer. „Als erfahrener Designer schaut man sich diese Entwürfe an und denkt: Die müssen noch viel lernen. Aber genau diesen unvoreingenommenen Blick braucht man. Deshalb ist der Anteil der Designer mit wenig Erfahrung und viel Kreativität in unseren Konzeptteams auch besonders hoch.“ So können bei Porsche auch junge Designer, die frisch von der Hochschule kommen, mit ihren Ideen zur Entwicklung der Marke beitragen – statt mit endlosen Variationen neuer Serienmodelle die Papierkörbe zu füttern.

Andere Welten

Um sich von Vorgaben frei zu machen und die Möglichkeitsräume des Fantastischen zu erkunden, schätzt Michael Mauer auch den Austausch mit kreativen Branchen abseits der Automobilindustrie – zum Beispiel mit Hollywood. Zusammen mit den Special-Effects-Spezialisten von Lucasfilm hat das Designteam von Porsche 2019 einen Raumgleiter für das Fantasy-Universum von Star Wars™ entworfen: den Tri-Wing S-91x Pegasus Starfighter. Und tatsächlich kann man in dem kompakten Raumschiff zahlreiche Proportionen und Details erkennen, die an die Formensprache von Porsche erinnern. Wer hätte gedacht, dass die typische Flyline des Porsche 911 auch einem Sternenkämpfer so gut zu Gesicht stehen würde? Michael Mauer faszinieren an dem Gemeinschaftsprojekt vor allem die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Arbeitsweise: „Der Designprozess und die Umsetzung der Ideen sind bei Lucasfilm sehr ähnlich wie bei uns. Und visionäre Ideen haben wir auch. Doch während ein Automobildesigner für die Serienumsetzung wieder Stück für Stück rückwärtsmarschieren muss, kann das Team bei Star Wars™ auch bei der Umsetzung uneingeschränkt kreativ bleiben. Wenn der Designer dies so entscheidet, ist die Antriebsquelle für ein Raumschiff in Zukunft eben nur noch so klein wie eine Zigarettenschachtel.“ Für alle Motorenentwickler in Weissach: Das Ziel ist klar.

Ein Herz für Science-Fiction mag nicht zum klassischen Anforderungsprofil eines Produktgestalters gehören. Doch wäre der technologische Fortschritt des 20. Jahrhunderts möglich gewesen ohne die Visionen von fliegenden Autos, gläsernen Städten auf dem Meeresgrund, rotierenden Weltraumstationen? Haben die futuristischen Welten, die Künstler wie Syd Mead entstehen ließen, nicht ganze Generationen von Designern geprägt? Wäre das iPhone derart erfolgreich gewesen, wenn nicht schon Star Trek die Idee eines handlichen Kommunikations- und Messgerätes in unsere Köpfe gepflanzt hätte? Es scheint, dass wir Visionen, Utopien, Bilder von einer besseren Welt benötigen, um unsere Vorstellungskraft anzuregen, Veränderungen zu beschleunigen, Innovationen zu ermöglichen, das Undenkbare denkbar zu machen. Ohne Beispiele diskutiert man die Zukunft schließlich im luftleeren Raum. Und so prägen auch Michael Mauer und sein Team mit ihren Entwürfen von heute die Welt von morgen.

„Es ist nicht unser Ziel, jede Idee umzusetzen, sondern vielmehr, auszuprobieren, über den Tellerrand zu blicken, neue Räume zu öffnen, die Zukunft zu ertasten“, hat Michael Mauer zu Beginn unseres Rundganges gesagt. „Manche Visionen, die bei uns entstehen, sind momentan nicht umsetzbar. Aber sie sind Symbol einer Ausrichtung. Wie ein Kompass können sie Orientierung bieten auf unserem Weg. Und Inspiration.“ Es ist ein weiteres Zeichen für die ausgeprägte Ideenkultur und den experimentellen Geist, der durch die Designstudios von Weissach weht, dass Porsche nun seine Traumschmiede geöffnet hat. Und uns alle mit auf die Reise nimmt – in die Zukunft der sportlichen Mobilität der Marke Porsche.